Fotografie und das Metaversum

Welche Bedeutung und Folgen haben virtuelle Parallelwelten für die Fotografie? Eine Utopie.

Wohin soll der nächste Foto-Urlaub gehen? In die Alpen oder vielleicht doch lieber nach Japan? In puncto Exotik dürfte die Entscheidung leichtfallen – doch bei den Reisekosten und dem großen zeitlichen Aufwand entscheidet man sich vielleicht doch eher für die günstigere Variante in die heimischen Berge. Und welche Kamera soll ich mitnehmen? Wirklich die schwere Spiegelreflex mit den drei Wechselobjektiven? Oder besser eine leichtere Systemkamera? Oder vielleicht dann doch einfach nur die kleine Kompaktkamera mit Festbrennweite?

Entscheiden heißt verzichten – davon können Fotografen ein Lied singen. Doch was, wenn in Zukunft Reisen keine Frage des Geldes, sondern nur noch von einer stabilen und schnellen Internetverbindung wäre? Und was, wenn ich mein gesamtes Fotoequipment immer und überall dabeihätte, ohne es jedoch tragen zu müssen? Die virtuelle Welt und das Metaverse machen es möglich.

Urlaub mit der VR-Brille
Denn spätestens seit Meta-Chef Mark Zuckerberg die Revolution des Internets ankündigt hat, wird heftig darüber spekuliert, welche Möglichkeiten uns virtuelle Paralleluniversen bieten können, in denen wir uns mit Hilfe von VR-Brillen und Avataren bewegen und vor allem auch interagieren können. Während sich Technik-Nerds, Early Adopter und Digital Natives bereits die Hände reiben, winken andere vielleicht ab und fragen sich, welchen Nutzen sie von einer virtuellen Welt haben sollen. Doch ähnliche Zweifel gab es auch bei der Etablierung des Personal Computers, des Smartphones und digitaler Konferenzräume wie Zoom – und all dies ist aus unserem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken. 

Doch was genau bedeuten diese Veränderungen und neuen Möglichkeiten für Fotografen, die Kameraindustrie und überhaupt die gesamte Fotoszene? Drei Punkte sind besonders hervorzuheben:


1. Virtuelle Präsenzen und NFT-Wearables

Im Decentraland, einer bereits seit 2015 existierenden dezentralen 3D-Plattform für virtuelle Realität, haben große Unternehmen wie Samsung, Victorias Secret, Skechers und JP Morgan ihre Claims längst abgesteckt und Dependancen errichtet. Das traditionsreiche Auktionshaus Sotheby’s (gegründet 1744!) hat eine virtuelle Kopie des Londoner Firmensitzen an der Bond Street erstellt und sein „Doorman“ Hans Lomulder begrüßt den Besucher am Eingang. In den Geschäftsräumen wird NFT-Kunst gezeigt und kann dort auch gekauft werden. Für das Decentraland wurden bereits der Melbourne Park nachgebaut, mehrtägige Musikfestivals und eine Fashionweek veranstaltet. Bei letzterer hat das Kosmetik-Unternehmen Estée Lauder sein Gesichtsserum „Advanced Night Repair“ als NFT-Wearable verschenkt – die Besitzer können ihren Avataren damit „eine leuchtende, strahlende Aura verleihen“, heißt es. Das mag vielleicht nur ein albernes Gimmick sein, aber was sollte die großen Kamerahersteller daran hindern, ihre Produkte in Zukunft auch als NFT anzubieten, die man nicht nur seinem Avatar umhängen, sondern mit denen man im Metaverse auch tatsächlich fotografieren kann? Über die VR-Brillen, die man ohnehin für die Nutzung benötigt, könnten nicht nur das Design, sondern auch alle Funktionen simuliert und ausprobiert werden – bis hin zum „realen“ Kauf der Kamera, die wir dann in der physischen Welt genauso benutzen könnten wie in der virtuellen. Jede einmal gekaufte Kamera und jedes Objektiv könnte über die Original-Seriennummer als NFT lizensiert und virtuell eingesetzt werden. So hätte man sein gesamtes Equipment im Metaverse stets dabei und einsatzbereit. Womit wir zum Punkt zwei  kommen.


2. Fotografien kann man auch in der virtuellen Welt

Meta-Chef Mark Zuckerberg hat mit seiner Vision eines eigenen Metaverse bereits für wilde Spekulationen gesorgt. In der seit wenigen Monaten auch in Europa erhältlichen Social-App  Horizon Worlds wurden bereits mehr als 10.000 individuelle Welten erstellt. Die sehen grafisch zwar alle noch sehr schlicht aus, aber wer einmal Open-World-Spiele wie GTA V und Red Dead Redemptation 2 gespielt hat, dem wird es bei der an Realismus kaum noch zu überbietenden Darstellung sicher öfter mal im Auslöse-Finger gejuckt haben. Kein Wunder also, dass das Entwicklerstudio Rockstar Games in beiden Spielen bereits jetzt die Möglichkeit implementiert hat, während des Spiels mit einer Kamera zu fotografieren. Die riesige Bandbreite der Orte, der Wetter- und Lichtverhältnisse sowie die schier unendlichen Möglichkeiten an Interaktionen mit anderen echten Spielern sowie KI-gesteuerten Tieren und Charakteren ist schon jetzt absolut faszinierend. Und weil all diese Welten letztlich bloß einen Link voneinander entfernt sind, stünde einer Reise nach Japan oder in den amerikanischen Wilden Westen nichts mehr im Wege – vorausgesetzt jemand hat sich die Mühe gemacht, diese auch zu erschaffen. 
Deshalb scheint es auch nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die ersten großen Fotowettbewerbe in einem Metaverse veranstaltet werden, für die man mit seiner eigenen Fotoausrüstung durch hyperrealistische Welten flaniert und auf so etwas wie den „entscheidenden Augenblick“ wartet. 


3. Eigene Fotografien als NFT präsentieren und handeln

Zahlreiche Fotografen wie Cristina De Middel oder Aimos Vasquez verkaufen neben ihren physischen Abzügen auch digitale Besitzerurkunden ihrer Arbeiten auf Plattformen wie OpenSea und Rarible. Doch wer NFTs besitzt, will sie vielleicht auch anderen Menschen zeigen. Das geht schlicht und einfach als Listenansicht auf einer Website – doch viel schöner und unterhaltsamer ist es, wenn man die Bilder an virtuelle Wände hängen und sie sich gemeinsam mit Freunden und Fremden anschauen und über sie fachsimpeln kann. Wenn man dazu noch ein virtuelles Glas Crémant in der Hand halten und seine Leica um den Hals baumeln lassen kann, wäre die Vernissagen-Stimmung perfekt. 

All das ist bereits heute im Metaverse möglich: In selbstorganisierten Fotoausstellungen, in Galerien und in Museen. Ob es in den virtuellen Räumen auch rote Punkte an den Wänden gibt, wenn Kunstwerke verkauft wurden, bleibt abzuwarten. Stilecht wäre es zumindest.