Exclusiv-Interview mit Karin Rehn-Kaufmann

Kuratorin, Art Direktorin, Chief-Repräsentative aller Leica-Galerien und Jury-Mitglied des internationalen Leica Oskar Barnack Awards: Die gebürtige Freiburgerin ist eine der prägenden Figuren der vielen kulturellen Aktivitäten des Wetzlarer Kameraherstellers Leica. Am 15. Oktober wird Karin Rehn-Kaufmann als Interviewpartnerin die diesjährige Keynote-Präsentation des deutschen Modefotografen Joachim Baldauf auf der PHOTOPIA-Bühne mitgestalten. Leica wird dem innovativen Fotografen eine große PHOTOPIA-Bilderschau in der Streetside Gallery widmen. Ein Gespräch über die Aufgaben der Fotografie, die neue Bedeutung von Foto-Events und den „Spirit of Leica“.

Welche Bedeutung hat ein Groß-Event wie die PHOTOPIA für die deutsche Fotoszene?

Karin Rehn-Kaufmann: Für mich haben die PHOTOPIA und andere Messen nach dem Ende der photokina insofern eine Bedeutung, als dass man sie neu aufstellen muss. Es geht eben nicht mehr nur um Kameras und Pixel. Dieser Zug ist aus meiner Sicht schon lange abgefahren. Man muss heute schauen, wie man die Kultur, die Dokumentarfotografie und vor allem auch die Fotografen selbst mit Talks, Interviews und Workshops in diesen Zusammenhang einbringt. Für mich spielt die Kamera die zweite Rolle; die erste Rolle spielt wirklich das Bild.

 

Wie hat sich die Aufgabenstellung für Foto-Events seit dem Ende der photokina verändert?

Karin Rehn-Kaufmann: Zu Beginn der Digitalisierung stand natürlich die Technik im Vordergrund, weil das alles ganz neu war. Das ist jetzt nicht mehr so. Es hat sich „ausgepixelt“. Nun geht es wieder ums Bild. Vor diesem Hintergrund muss man sich neu aufstellen und überlegen: Was will die Fotografie in der Zukunft, was soll sie bewirken? Was ist ihre Aufgabe und wie können wir mit solch einer Messe diese Vision kommunizieren?

 

Was ist die veränderte Aufgabe der Fotografie – oder war es doch stets die gleiche Aufgabe?

Karin Rehn-Kaufmann: Es ist natürlich einerseits die gleiche Aufgabe, weil sie dazu bestimmt ist, die Geschichte festzuhalten, in all ihren verschiedenen Facetten zu dokumentieren. Doch heute geht es auch darum, dass man auf die Qualität der Fotografie aufpasst, auf die Dokumentarfotografie und die „Fake News“, die ja ebenfalls mit der Fotografie produziert werden. Man muss auch mit solchen Messen versuchen, eine gewisse Wahrhaftigkeit darzustellen und zu sagen: Das ist uns wichtig.  Jeder fotografiert heute und macht irgendwelche Bilder. Dennoch gibt es da auch einen Unterschied.

 

Was plant Leica für die PHOTOPIA 2022?

Karin Rehn-Kaufmann: Wir werden dort einen tollen Outdoor-Bereich übernehmen. Und das mit einem deutschen Fotografen:  Joachim Baldauf, den ich sehr schätze. Er hat ein neues Konzept für diesen Bereich entworfen. Was er plant, ist ziemlich sensationell.

 

Warum haben Sie gerade diesen Fotografen für Hamburg ausgewählt?

Karin Rehn-Kaufmann: Ich schätze ihn wegen seiner Kreativität und weil er vor Ort immer ein Konzept mitbringt, das genau dazu passt. Mir gefällt, wie er mit der Grafik und mit dem Wort arbeitet. Er setzt Wort und Bild miteinander in Verbindung und bringt dabei Humor in die Sache. Joachim Baldauf findet, es sei sowieso heute alles so ernst. Man müsse Humor in die Fotografie bringen. Dieser kreative Kopf ist auch Designer ­– und das sieht man. Er wird einen riesigen Ausstellungsbereich mit 48 Bildern gestalten. Seine Bilder werden nicht auf Alu-Dibond gezogen, sondern auf Pappe. Und was macht man nach der Ausstellung damit? Joachim ist auf die Idee gekommen, die Prints anschließend seinen Studenten zu geben – mit dem Auftrag, daraus ein neues Kunstwerk zu schaffen. Bei dieser Ausstellung wird es um Mode gehen, um Texte und um einen Farbrausch. Das wird sich wie ein Regenbogen über den ganzen Platz ziehen.

Die Kooperation von Leica und der PHOTOPIA ist längerfristig angelegt. Ist die weitere Entwicklung dieser Zusammenarbeit bereits perspektivisch festgelegt oder wird das von Event zu Event verhandelt?

Karin Rehn-Kaufmann: Letzteres ist der Fall. Ich werde immer dann ins Boot geholt, wenn es vor Ort um Ausstellungen geht.

 

Was macht eigentlich den „Spirit of Leica“ aus? Dahinter verbirgt sich weit mehr als eine Marke. Selbst bei der Namensnennung werden bei manchen Menschen bereits Bilder im Kopf geweckt.

Karin Rehn-Kaufmann: Das begeistert mich natürlich immer sehr, weil ich das so von Marken nicht kenne. Mein Mann und ich antworten den Fotografen persönlich, reichen Anfragen nicht an Assistenten weiter. Wir möchten immer persönlich vor Ort sein. Kurzum: Wir betreiben dieses Geschäft von Mensch zu Mensch. Und die Fotografen wissen das sehr zu schätzen.

 

Wir haben heute bei Leica vier Säulen der Kultur aufgebaut. Es gibt 26 Leica-Galerien weltweit und im nächsten Jahr werden es voraussichtlich über dreißig Galerien sein. Das ist ein atemberaubendes Ausstellungsnetwork. Das erleben die Fotografen natürlich: Ihnen wird eine Plattform gegeben!

 

Was macht für Sie das Besondere des Mediums Fotografie aus?

Karin Rehn-Kaufmann: Mich begeistern Bilder, die Geschichten erzählen. Und die Fähigkeit, einen Moment einzufrieren, in diesem Moment hellwach zu sein. Dazu gibt es viele Geschichten, wie lange etwa ein Cartier-Bresson oder ein Frank Horvat gewartet haben, bis der Moment wirklich eintraf. Dieser besondere Blick und dieses „seelische Auge“ ist etwas, das mich auch bei Thomas Hoepker immer wieder fasziniert. Ich habe gerade den neuen Dokumentarfilm „Dear Memories“ über ihn gesehen, der mich tief beeindruckt hat.

Mich begeistern vor allen Dingen auch immer wieder die Menschen hinter der Fotografie!

 

Wie stark ist Ihr Verlangen, selbst zu fotografieren, nachdem Sie sich sonst so intensiv mit den Fotos anderer Menschen beschäftigen?

Karin Rehn-Kaufmann: Der Anreiz ist da. Ich habe mir tatsächlich gerade eine kleine Analoge gekauft, weil ich wie Sie täglich so viele Bilder sehe und keine Lust habe, meine eigenen anzuschauen und erst noch zu bearbeiten. Also bin ich zum Analogfilm zurückgekommen, den ich zur Entwicklung bringe. Die Bilder klebe ich anschließend in ein Fotobuch. Ich habe lange gehadert, weil ich selbst nicht dazu käme, mir irgendwelche Bildordner im Computer anzulegen und diese ohnehin nicht ansehen würde. Insofern dachte ich mir, das sei ein guter Weg: Zurück zum Film! Ich habe vor vier Wochen meinen ersten Enkel bekommen. Da fängt das schon an: Man will diese neuen Momente natürlich festhalten.

 

Verändern sich bei den vielen Facetten Ihres Jobs über die Jahre die Gewichtungen?

Karin Rehn-Kaufmann: Ja. Insofern, als dass die Arbeit für das Museum nochmal ein ordentlicher Teil meiner Kuratierung geworden ist. Das mache ich jetzt seit zwei Jahren und möchte, dass man sich künftig mit anderen Museen austauscht. Wir müssen nicht immer nur eine Ausstellung für das Leitz Museum produzieren. Jetzt werden wir die Andy Summers-Ausstellung vom Bonnefantenmuseum in Maastricht übernehmen.

Es begeistert mich jedoch andererseits jedes Mal, auch selbst zu kuratieren. Mit Andy Summers habe ich (für die Ausstellung im Leitz-Museum) einen „Police“-Raum mit Wallpapers gestaltet, auf denen wir eine Filmrolle mit einzelnen Motiven der kompletten Police-Jahre kleben.

 

Ich staune immer wieder, welche fotografierende Prominenz bei Leica präsentiert wird. Bei manchen dieser Stars wusste man vorher überhaupt nicht, wie gut sie fotografieren. Früher hatte man die Stars in Schubladen gesteckt: Der Musiker, der Filmschauspieler etc.

Heute wird viel mehr anerkannt, dass manche Künstler mehrfach talentiert sein können.

Karin Rehn-Kaufmann: Das ist ganz wichtig! Markus Lanz fotografiert beispielsweise verdammt gut. Oder ein anderer: George Amin. Der Musiker spielt im West-Eastern Divan Orchestra und ist ein hervorragender Fotograf. Aber auch all die unbekannten Amateure: Die Lücke zwischen einem Professional und einem Amateur ist oft nicht groß.