Software für die Piepmatz-Emotion

In seinem neuen Projekt nutzt der Künstler und Fotograf Claudius Schulze künstliche Intelligenz, um die Emotionen der Vogelwelt zu interpretieren.

2017 veröffentlichte Claudius Schulze sein Fotobuch „Naturzustand“. Darin zeigte er uns auf den ersten Blick mehr oder weniger harmonische bis romantische Landschaftsfotografien aus allen Teilen Europas, die sich bei genauerer Betrachtung allerdings eher als Orte der Angst und Prophylaxe entpuppten. Wir sahen Dämme und Stauseen, Wellenbrecher und Sturmflutsperrwerke, Molen und Lawinenverbauungen. Selbst eine idyllische Auenlandschaft mit Kühen entpuppte sich als potenzielles Überschwemmungsgebiet für Elbhochwasser.

 

Die Gefühle der Vögel

Von dieser streng dokumentarischen Sicht ist Schulze bei seinem aktuellen Projekt weit entfernt - zumindest was das Ergebnis für den Betrachter angeht. Statt einer Fachkamera benutzt der 38-Jährige diesmal eine lichtempfindliche Überwachungskamera, die er auf seinem Boot Zoë X installiert hat. Dort ist sie derzeit senkrecht in den Hamburger Himmel ausgerichtet. Mittels Intelligent Tracking und Multi Tracking kann sie mehrere Objekte erkennen und diese dynamisch verfolgen – doch die von ihr aufgenommenen Fotos bekommen weder wir noch der Künstler zu sehen. Fotografien liefern beim FIDS Open Research Lab-Projekt lediglich die Interpretationsgrundlage für anschließende Analysen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Der Betrachter bekommt das Ergebnis schließlich als Textnachricht zu lesen – angezeigt auf einer alten, modernisierten Anzeigetafel, die 16 Jahre lang am Flughafen Leipzig-Halle ankommende Flugzeuge angekündigt hat. Heute ist auch sie auf Claudius Schulzes Boot installiert, kündigt dort allerdings keine Flugzeuge, sondern vor allem Zugvögel an. Start- oder Landezeiten sind hier natürlich auch nicht dabei – dafür stattdessen Informationen zur identifizierten Vogelart und eine Interpretation, wie sich der Vogel gerade fühlt. Manchmal liefert die eigens für das Projekt entwickelte Software sogar ein ungefähres Flugziel: „Richtung Horizont wandert mit gemütlichen Flügelschlägen ein Vogel“, heißt es dann zum Beispiel oder auch: „Eine Mönchsgrasmücke zieht an den Rand der Welt. Es ist heiß.“

 

Exkursionen mit dem Forschungsboot

Bis Mitte Oktober wird Claudius Schulze noch mit seinem Boot durch Hamburg fahren und an verschiedenen Stellen den Himmel beobachten. Denn entgegen den Erwartungen vieler, sei die Artenvielfalt in der Stadt größer als auf dem Land, so Claudius Schulze. Hinzu kämen Zugvögel, die durch und über Hamburg flögen und die er beobachten möchte. Klimakrise, Artensterben, Bionik und technologische Zusammenhänge sind die Hauptthemen in Schulzes Werk. Mit seinem schrägen Projekt verbindet er auf wunderbare, fast schon poetische Weise Forschung und Kunst.

 

Drossel-Dada auf der Airport-Tafel

Wer sich die Zoë X mit der Anzeigetafel anschauen möchte, der bekommt auf der Projekt-Website den aktuellen Standort des Bootes angezeigt. Interessenten, die nicht die Möglichkeit haben, das Projekt vor Ort in Hamburg zu bestaunen, können sich auf der Seite auch eine virtuelle Version der Tafel anschauen. Dort findet sich zum Beispiel gerade dieser an Poesie kaum zu übertreffende Satz: „Ein panischer Vogel gleitet gen Südost.“ In diesem Sinne: Guten Flug!

 

Claudius Schulzes Projekt-Website: https://fids-openresearchlab.org/